Dienstag, 6. November 2012



Burgen, Bäume, Feuer, Tee.
Niemand stürmt meinen  Ritterturm!
Er fliegt davon, wenn's regnet
mit der Kette, die er um den Hals trägt.
Da fliegen die Ziegel meiner Wünsche!
Mein Schutzwall steht fest.
Baut mir keinen Hopfen an.
Er verdorrt, bevor ich noch die Zeit habe daraus mein Bier zu brauen.
Gerade ein Fleckchen, auf das ich achten kann.
Ich wart' jedoch im Kornfeld, wo der Wind auf meiner Haut sticht und meine Hände taub werden.
Doch auf eine gewisse Art mag ich es zu frieren.
Hier stehe ich bis die Dunkelheit mich einhüllt, damit ich mich nicht verstecken muss und warte bis mein Tee gezogen ist und ich das Feuer in der Ferne seh'. (10)







Zwiespältiges Sein, nebliges Gewissen

Hier bin ich von Neuem. Vor mir die Tiefe, hinter mir die Toten. Und ich auf der Mauer, die mir so vertraut das Hinterteil kühlt und den Nebel meiner Sinne etwas lichter macht. Da sitze ich also, meinen Ängsten auf der Lauer. Dort unten sind sie schon wieder. Wahrscheinlich beraten sie sich darüber, wie sie mir am besten das Leben schwer machen können. Ha! Nicht mit mir, ihr ungeselligen Figuren! Ab heute nicht mehr. Ich schlage die Beine über die Mauer und strecke meine Fußspitzen dem Abgrund entgegen, damit ich die Ängste besser im Visier habe. Perfekt! So schnell bewegen sich die nicht vom Fleck. Das wäre meine Chance. Doch würde ich mich aus meiner obigen Position auf sie stürzen, liefe ich Gefahr, mich beim Aufprall ordentlich zu verletzen oder Schlimmeres. Ich überlege, horche in die Stille hinein. Ziemlich ausgestorben ist der Platz heute. Nur ein, zwei weitere Nachtschattengewächse aus Fleisch und Knochen treiben sich in der Gegend herum und hoffen darauf, bei Mondschein zu reifen. Ich höre, wie der Korken einer Weinflasche blopt, und sich die Gestalten über Vergänglichkeit und Filme unterhalten, doch ihre Stimmen verhallen wieder. Ich drehe mich um und betrachte für einen Augenblick die Kirche, vor der ich mich befinde. Neben ihr liegt die Gruft mit ihren Gebeinen, die seelenruhig die komische Welt belauschen und darauf warten, dass Staub zu Staub zerfällt. Ich drehe mich zurück und komme ins Wanken. Ups! „Du weißt, dass du herunter fallen kannst “, heißt es immer, wenn ich nicht allein hier bin. „Ich weiß, Freund, ich weiß“, denke ich mir. „Darum sitze ich ja hier. Ich will meine Grenzen direkt vor Augen haben.“ Und heute auch die Ängste. Ich fixiere sie wieder. Sehr gut, sie haben sich kein Stück bewegt. Ich bin im Zwiespalt, schon wieder. Soll ich sie jetzt angreifen und alles riskieren? Vielleicht fangen sie mich ja reflexartig auf. Soll's geben. Oder ich suche mir einen alternativen Weg, schleiche mich anders an sie heran. Aber das bemerken sie womöglich, und dann bin ich sowieso geliefert. Auf einmal steht jemand hinter mir, der meinen Gedankenfluss unterbricht. Ich schaue über meine Schulter. Aha, ein Kind. Ein Kind? Ich drehe mich um zu ihm. Es schaut bedrückt und weint. „Hey, warum weinst du?“, frage ich es. „Komm und spiel mit mir, ich bin so traurig“, antwortet es. Den Satz kenne ich doch irgendwoher. „Und warum bist du traurig?“, will ich wissen.  „Weil ich Angst habe“ „Wovor denn?“ „Vor denen.“ Das Kind beugt sich über die Mauer und zeigt in den Abgrund, aus welchem uns Schatten und Lichteraugen anstarren. Es muss sich ziemlich strecken, um über die Mauer sehen zu können. Dieses Wesen ist so winzig. Bin ich denn schon so groß? Zuerst verstehe ich nicht, was das Kind meint. Dann erkenne ich, dass es auf die Versammlung der unholden Emotionen zeigt. Was? Das sind doch meine Ängste. Ich bin zu verdattert, um auf die Idee zu kommen, dem Kind zu erklären, dass es sich vor ihnen nicht zu fürchten braucht, da sie ja von ihm nichts wollen. Es fragt noch einmal, ob ich mit ihm spielen würde. „Okay“, meine ich, „spielen wir.“ Das Kind scheint sich beruhigt zu haben und setzt sich zu mir auf die Mauer. „Nicht 'runterfallen!“, sage ich. Es wischt sich die Tränen ab und lässt die Beine baumeln. Ich lasse es nicht aus den Augen. Es schaut sich mit wehmütigem Blicke um und stößt einen leisen Seufzer aus. Ich will es gerade frage, was es spielen will, da wirft es sich aus heiterem Himmel in den Abgrund hinab, meinen Ängsten direkt in die Arme. Aaaah! Was macht es denn? Ich starre mit Entsetzen auf die Stelle neben mir, wo das Kind gerade noch gesessen hat. Schon höre ich die Toten hinter meinem Rücken jubeln und mit ihren knochigen Fingern in die Hände klatschen. Fuck! Haltet die Klappe, ihr Herzlosen! Panik und Schuldgefühle beherrschen mich. Ich wage nicht, in den Abgrund zu schauen, doch da ich das Kind nicht festgehalten habe, gebührt es mir zu sehen, in wie viele Stücke es den kleinen Menschen zerrissen hat. Gott, was ging nur vor in diesem Kind? Schließlich blicke ich zittrig in die Tiefe. Da steht es, das Kind. Es steht? Es lebt! Alle Anspannung löst sich von mir. Am liebsten würde ich heulen, aber es ist zu wirklich, um zu weinen, nicht wie im Kino. Ich kann mein Glück kaum fassen. Dem Kind geht es gut. Nicht einmal ein gebrochenes Bein. Es blickt tapfer zu mir empor. Dann nimmt es meine Ängste bei der Hand und führt sie fort, bis es mit ihnen im Dunkeln verschwindet. Ich will ihm etwas zurufen, aber meine Stimme versagt. Warum geht es fort? Wieso lässt es mich jetzt allein in meinem zwiespältigen Sein mit meinem nebligen Gewissen?(11)





                                            Would you make me a sword of  ice
                                             So that it´s easier to swallow
                                             Cause I stayed thirsty on that rainy day.
                                             (08)



Die Verrücktheit, die uns vor dem Alleinsein bewahrt, bietet ein heimeliges Gefühl und ein warmes Unheimlich sein zugleich. So vielseitig schön ist sie. Ein Zug, der auf  den Gassen vor meinem Fenster vorbeifährt. Ein offener Seegrund, der sich auf den Verlassen Straßen vor dir auftut. Auch ein leerer Kinosaal, der mit dir zu sprechen beginnt.
Mein Blick wanderte zum Fenster hinaus, als ich jene Gedanken hegte. In der Nacht konnte man den Schnee von den Dächern schmälzen hören. Dabei lag im Herbst noch gar kein Schnee. In weiterer Ferne, am Ende der Gasse, warf die letzte Laterne einen Schatten der Eigenart auf die Straße. Als ob jemand dastünde und mich ansah. Fast nur hätte ich einen Geist gesehen. Einen Mann mit Hut und altertümlichem Spazierstock. Und fast hätte er mir mit ruhiger Hand zugewinkt, in der Einsamkeit meiner falschen Winternacht. Mag es auch nur die Einsamkeit selbst gewesen sein. Ich winkte nicht zurück, doch nickte ich kaum merklich. Da stahl sich ein alter Plattenspieler in meine Gedanken, der unglaublich real mir schien, sowie für eine Sinnestäuschung grenzwertig in seiner Schönheit. Und ich sank ins Orchester. (12)
 

 






 






1 Kommentar:

  1. "Nur ein, zwei weitere Nachtschattengewächse aus Fleisch und Knochen treiben sich in der Gegend herum und hoffen darauf, bei Mondschein zu reifen."

    - Genialster Satz überhaupt!

    Tiefe Gedanken, Liebste. Weiterweiterweiterforschen und Selbsterkennung. Glückwunsch, du bist nun im Besitz eines nicht-brennbaren Tagebuchs, geschaffen für Ewigkeit.

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